Samstag, 17. Februar 2007

Gōngxǐ fācái! Und Dollase schreibt über "den Chinesen"

Heute ist das Chinesische Neujahr. Also: Gōngxǐ fācái. Passend dazu schreibt Jürgen Dollase in der heutigen FAZ über "den Chinesen". Dollase ist wie immer lesenswert. Hier der Artikel weitestgehend vollständig:

Das Bild, das wir von einem Essen "beim Chinesen" haben, dürfte ähnlich klar sein wie das vom Essen "beim Italiener". [...] Besonders mit diesen Büfetts und Angeboten wie "Essen so viel Sie mögen für neun Euro achtzig" scheint man so etwas wie eine magische Formel gefunden zu haben, an denen der an Discount-Preise gewöhnte Deutsche kaum vorbeigehen kann.
"Der Chinese" hat tatsächlich mit der chinesischen Küche kaum etwas zu tun. [...] Für die chinesischen Restaurants in Europa oder Amerika galt am Anfang vor allem die Devise, für nicht sehr wohlhabende Landsleute preiswert zu kochen. Zuerst Seeleute und später Auswanderer und Mao-Flüchtlinge sorgten in diversen Hafenstädten, in London, Paris, New York oder San Francisco für schnell wachsende Kolonien, bis dann in den sechziger Jahren erstmals so etwas wie eine Modewelle für eine Verbreitung bis in Kleinstädte sorgte.
Ist nun das Essen "beim Chinesen" nur eine völlig unproblematische Variante oder gibt es schwerwiegende kulinarische Konnotationen mit, sagen wir, McDonald 's? Der durchschnittliche "Chinese" ist nicht schwer zu finden, das Angebot dieser Restaurants ähnelt sich oft bis ins Detail. Die in der Regel riesige Speisekarte lässt auf eine Küche schließen, die extrem viel vorbereitete Elemente und einen großen Anteil an Tiefkühl-Produkten (vor allem bei Garnelen, Fisch und Meeresfrüchten) verwendet. Das sehr schnelle Servieren der Gerichte sollte auch Laien signalisieren, dass viele Speisen aufgewärmt sind und Eintöpfen oder Schmorgerichten ähneln. Trotz einiger roher oder al dente gegarter Gemüse fällt es oft schwer, eine Spur von Frische zu assoziieren, und auch die von guten Köchen durchaus à point realisierbare Wok-Garung ist in dieser Form nicht erkennbar. Häufig werden die Woks nur noch benutzt, um vorgegarte Elemente mit dicklichen Saucen zu überziehen und aufzuwärmen.
Der typische zeitversetzte Aufbau der Wok-Garung zur Erzielung eines Gerichtes mit Elementen von durchgegart bis roh findet sich in der Regel erst in besseren Restaurants. Bei den Vorspeisen ist die Qualität oft von Haus zu Haus sehr unterschiedlich. An diesem Abend leidet sie unter gravierenden technischen Fehlern, weil etwa die Frühlingsrollen viel zu kross ausgebacken sind und die ohnehin nicht besonders markante Füllung mit ihrer dominanten Textur völlig verschwinden lassen. Gleiches gilt für die mit einer Fleischfarce gefüllten Wan-Tan-Taschen, bei denen die durchaus ordentliche Füllung kaum identifizierbar ist. Bei den Hauptgerichten dominiert ein Effekt, der sehr typisch für diese Küche ist. In wenigen Sekunden wird im Mund ein Gewürzraum erzeugt, dessen Dichte und vor allem Schärfe den weiteren Verlauf des Essens komplett diktieren.
Ob die "Knusprige Ente mit Champignonsauce", die "Acht Kostbarkeiten" oder der "Sea Food Hot Cook mit Hummerkrabben, Tintenfisch, Fischfilet, Gemüse, schwarzem Bohnengewürz und Knoblauch" - der Effekt ist da, und zwar unabhängig davon, ob das Gericht als "scharf" eingestuft wird oder nicht. In diesem Umfeld lässt sich im Prinzip alles verstecken, weil es kaum als Produkt und schon gar nicht in seiner Produktqualität zu identifizieren ist. Was bleibt, sind einige aromatische Tupfer.
Die immer auf Gabelgröße zurechtgeschnittenen Stückchen ermöglichen in der Küche natürlich auch die Verwendung von Resten aller Art. Bei der Ente, die als aufgeschnittenes Filet "offen" präsentiert wird, fällt eine merkwürdige Textur auf. Das Fleisch ist von unansehnlicher, graubrauner Farbe, aber völlig zart und aromatisch durchaus nicht schlecht, ist also längere Zeit bei begrenzter Temperatur warmgehalten worden. Die Kombination dieses Fleisches mit der nämlichen Mischung aus Gemüse, diversen Fleischsorten und dicklicher Sauce holt sie allerdings aromatisch sofort wieder zurück ins Glied. [...]
Das eigentliche Problem liegt tiefer. Der alles verkleisternde, mehr oder weniger würzige Süß-sauer-Geschmack ist etwas, das man auch bei vielen Fastfood-Ketten findet, zum Beispiel beim McDonald's-Hamburger. Die aromatische Reizüberflutung ohne Differenzierung hat im Prinzip einen ähnlichen Effekt wie diverse andere Formen von Abhängigkeit, weil schnell die Notwendigkeit entsteht, die gewohnte Dosierung auf keinen Fall zu unterschreiten.
Wird ein solches Geschmacksbild zum Maßstab für Wohlgeschmack, schmeckt alles andere fade. Gewöhnt man Kinder früh an den aromatischen Overkill, werden sie nur schwer von weitgehend naturbelassenen Aromen zu überzeugen sein. Wer seinen Maßstab hier findet, verliert anderes. Wer andererseits über entwickelte Maßstäbe verfügt, wird das alles einordnen können. Es gibt körperliche und geistige Fitness - auch die kulinarische sollte man nicht aus dem Auge verlieren. "Beim Chinesen" ist es laut. Es fehlt die aromatische Stille.

Ein paar kleinere Anmerkungen: 1) Ein weiterer Grund für die große Auswahl auf Speisenkarten "beim Chinesen" sind die Gerichtspermutationen. So findet sich -- grob vereinfacht -- jedes Fleisch mit jeder Zubereitungsart. Also, Hähnchen, Schwein und Rind und das jeweils serviert nach Szechuan Art, mit Fried Rice oder auf Teochow Art. 3 mal 3 sind somit neun Gerichte. Auf der Karte beim "Italiener" gibt's bspw. Schweinefleisch nur auf eine Art zubereitet an dem Tag. 2) Die alles übertüchende Soße ist ein Gräuel. 3) Gute Süß-Sauer-Soße gibt es selten, nicht mal hier in Singapur in den besseren Hawker Stalls. 4. Last, but not least: Dollase lesen lohnt sich.

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